Dem Stamm Juda war eine Vorherrschaft prophezeit gewesen, die jene einer blossen Vorrangstellung unter den zwölf Stämmen Israels bei weitem übersteigen sollte. Dem Sohn Davids sollte nämlich ein imperiales Szepter anvertraut werden: "So will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten der Könige der Erde" Ps 89, 28; "und alle Könige werden vor ihm niederfallen, alle Nationen ihm dienen" Ps 72, 11. Das waren die Verheissungen, die Salomo erbte. Die kurze Herrlichkeit seiner Königsherrschaft zeigt, wie vollumfänglich diese hätten erfüllt werden können (2. Chron 9, 22–28), wenn er sich nicht der Dummheit hingegeben und die herrlichsten Aussichten, die jemals einem sterblichen Menschen vorgestellt worden waren, für vorübergehende fleischliche Gelüste eingetauscht hätte. Nebukadnezars Traum vom grossen Standbild und Daniels Vision als Interpretation jenes Traums waren eine göttliche Offenbarung, wonach das verworfene Szepter des Hauses Davids in die Hände der Nationen übergegangen war, in denen es sich bis zu jenem Tag befinden würde, an dem "der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten (wird), das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird" Dan 2, 44.
An dieser Stelle ist es nicht nötig, den ersten Teil der Prophezeiung im Detail zu diskutieren. Ohnehin besteht eine weitgehende Übereinstimmung bezüglich des generellen Charakters und Bereichs dieser Prophezeiung. Zumindest ist unumstritten, dass die darin beschriebenen Reiche Babylon, Persien, Griechenland und Rom sind. Dass das erste Reich Nebukadnezars Königreich ist, wird ausdrücklich festgehalten (Dan 2, 37. 38); eine spätere Vision nennt explizit das medo-persische Reich und das Reich Alexanders des Grossen als eigenständige «Königreiche» innerhalb des Bereichs der Prophezeiung (Dan 8, 20. 21). Das vierte Reich muss deshalb notwendigerweise Rom sein. Hier genügt es aber, die Tatsache zu betonen, dass sowohl Daniel im Exil als auch Jeremia inmitten der Trübsal Jerusalems in klaren Worten offenbart wurde, dass die Herrschaft über die Erde, die von Juda verworfen worden war, definitiv den Nationen übergeben worden warFussnote. Die einzigen Fragen, die sich stellen, sind: Erstens, was die Art der finalen Katastrophe sein wird, die durch den Fall und die Zerstörung des Bildes symbolisiert wird, und zweitens, wann sich dieser Teil der Prophezeiung erfüllen wird. Die Formulierung der Prophezeiung ist so klar, dass ihre Auslegung keine sprachlichen Schwierigkeiten bereiten kann. Nur eine allfällige Voreingenommenheit des Auslegers könnte diesem Schwierigkeiten bei der Interpretation bereiten. Kein Christ bezweifelt, dass der Stein, der sich ohne eine menschliche Vermittlung losreisst, ein typisches Bild entweder für Christus selbst oder für Sein Königreich ist. Ebenso klar ist, dass die Katastrophe eintreten wird, wenn das vierte Reich schon geteilt und teils stark und teils zerbrechlich sein wird. Die Erfüllung kann also nicht mit dem ersten Kommen Christi in Zusammenhang gebracht werden. Genauso eindeutig steht fest, dass es sich um ein plötzliches Ereignis handeln muss, auf das die Aufrichtung eines Königreichs folgen soll, welches in Ewigkeit bestehen wird. Folglich muss es sich um ein Ereignis handeln, das auch jetzt noch in der Zukunft liegen. Um das zu erkennen, muss man sich nicht mit verschiedenen Theorien beschäftigen; es genügt, die klaren Worte auszulegen. Ganz offensichtlich geht es in der Prophezeiung nicht um die Entstehung und Verbreitung eines «geistlichen Königreichs» mitten unter irdischen Konigreichen, sondern um die Aufrichtung eines Königreichs, das "alle jene Königreiche zermalmen und vernichten" wirdFussnote.